"Das versunkene Smartphone" von Enno Ahrens (epiklord)

"Das versunkene Smartphone" von Enno Ahrens (epiklord)

Maggie und ich waren auf Urlaubsreise zum Regenwald Amazoniens. Aber nicht nur um Spaß zu haben. Wir wollten nebenher etwas für den Umweltschutz tun. Es gab etliche Projekte, wo man sich tatkräftig, jedoch unentgeltlich, also aus reinem Idealismus, beteiligen konnte. Wir befanden uns auf dem Weg zu einer dieser Großtaten, als wir eine Hängebrücke überquerten, die über einen sumpfigen Flusslauf führte. Maggie, wegen der ich mich einzig und allein auf diese unüberlegte Tour eingelassen hatte, trabte voller Enthusiasmus voran, ich folgte widerstrebend in gehörig zunehmender Entfernung.

Dann kam Maggie mitten auf der Brücke jäh zum Stillstand. Ihr Smartphone war ihr bei den wackeligen Bedingungen aus der Hand geflutscht und in den Sumpf gefallen. Plötzlich zeigte Maggie ungewohnte zärtliche Anwandlungen mir gegenüber, und da ich ihr großer Held sei, bat sie mich das Handy aus dem Sumpf zurückzuholen. Irgendetwas da unten bewegte sich in einer riesigen Wasserlache, sah aus wie eine Anakonda. Ich lehnte Maggies Antrag, ihr Handy raufzuholen ab, denn wir wollten mehr; wir waren auf dem Wege, die Welt zu retten. Maggie überzeugte mich schließlich, dass man die Welt nur gemeinsam retten könne, indem man sehr, sehr viele Freunde (wie auf Facebook) mobilisiert. Dazu benötigte man allerdings das Handy, um sich einzuloggen. Ob überhaupt die Netzstärke ausreichte? Wir hatten uns aber noch nicht weit entfernt gehabt von unserem Aufbruchspunkt, der brasilianischen Metropole Manaus am jenseitigen Ufer des Amazonas.

Notgedrungen stiefelte ich hinunter und kämpfte mich bis zu der Stelle vor, wo das Handy abgesoffen war. Maggie gab mir von oben auf der Brücke Anweisungen. Tatsächlich fischte ich alsbald das Wunderwerk der Elektronik raus. Es war nicht tief gesunken, hatte sich an irgendwelchen Schlingpflanzen aufgehängt. Nur Maggies Moral war indessen tief gesunken, nachdem sie das Handy mit einer Angelschnur hievte. Sie ließ mich, von Stechmücken umschwärmt, im Sumpf zurück, der mich inzwischen fest an sich gesaugt hatte. Maggie schrie mir von weitem zu, sie müsse erst die Welt retten und später vielleicht mich.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis Maggie wieder zu mir zurückkam. Allerdings nur deswegen, weil ich den Akku aus dem Smartphone genommen hatte und eine Reservebatterie sich in meiner Jacke befand. Als Maggie mich aus dem Sumpf befreit hatte, sagte ich ihr, sie hätte gerade eine ganze Welt gerettet. Für die Juden sei jeder Mensch ein eigener Kosmos. Die Riesenanakonda tummelte sich etwa dreißig Meter in Marschrichtung unter dem aus Stricken gebauten Brückengeländer, über das ich Maggie hinunterstieß. Ich schaute ihr nach, wie sie in dem Schlund der Schlange verschwand. Das letzte, was ich von ihr gesehen habe, war ihre Hand mit dem Handy, das sie fest umklammert hielt.

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